Die historischen Jahresexkursionen der OG Stadt Bern haben es in sich. So bewunderten die 17 Mitglieder der OGB und ihre Begleitungen als Erstes den nostalgischen Bus der Firma Gafner, den Andres Krummen organisiert hatte. Ein besonderes Gefährt das von vielen Rundfahrten erzählen könnte. Mit geöffnetem Dach fuhr die gut gelaunte Gesellschaft nach Beatenberg. Die letzte Strecke musste vom Parkplatz bis zum Eingang im Fels zu Fuss zurückgelegt werden.
Hoch über dem Thunersee verbirgt sich hinter dem gut getarnten, grossen Tor weit mehr als die übliche Einrichtung eines grossen Artilleriewerkes, das zum Reduit gehörte. In den Kriegsjahren 1941-44 erstellt und erst 1998 ausser Dienst gestellt, war es auch im Kalten Krieg eine geheime Anlage, die immer wieder modernisiert worden war. In einigen Räumen ist ein Teil der Privatsammlung von 180 historischen Armeefahrzeugen sowie die hinter Gitter gesicherte Waffensammlung von Philipp Studer untergebracht. Da seufzte mancher hörbar vor Begeisterung.
Philipp Studer begrüsste seine Gäste persönlich bei traditionellem Kaffee und Gipfeli und stieg gleich in die Geschichte seiner Festung ein. Ja, sie gehört ihm, es ist seine Festung. Im Rundgang erzählt er den Gästen lebhaft und humorvoll, auch ernsthaft, die Geschichte dieser Festung. Die meisten Anwesenden haben wohl schon mehr als eine Festungsanlage besucht, es fehlt in der Schweiz ja nicht daran. Sie sind heute als Museen zugänglich, kleiner oder grösser, Artillerie- oder Infanteriewerke, Kommandoposten, mit denselben Aufgaben: Die Verteidigung unseres Landes. Es brauchte Personal, Waffensysteme, Munition und Ausrüstung. Das Besondere am Artilleriewerk Waldbrand ist die private Sammlung von Militärfahrzeugen des Besitzers. Man spürt und hört den Stolz aus den Worten und Gesten. Liebevoll gepflegt und instand gehalten sind diese Veteranen. Manche Besucher können sich kaum davon losreissen, da kommen auch eigene Erinnerungen auf. Man vergisst die eher kühle Temperatur die in einer Festung herrscht, und redet sich ins Feuer.
Der Rundgang geht auch in die übrigen Räume, Küche, die sattsam bekannten Dieselmotoren zur Stromproduktion, Tanks für Frischwasser, Vorratsräume, Unterkunft. Die Mannschaft sollte über viele Wochen autonom leben können. Die Büros der Übermittlungssoldaten und -offiziere gehörten zu den Wichtigsten. Auch ein Krankenzimmer ist vorhanden, ein Zahnarztstuhl, ein Operationstisch für Notoperationen. Aufenthaltsräume für Soldaten und Offiziere, Rapporträume. Obwohl die Festung beim Kauf schon ausgeräumt war, ist es Philipp Studer gelungen viele Einrichtungsgegenstände wieder zu beschaffen. Da hängen Uniformen, stehen Karabiner im Gewehrrechen, es liegt eine Zeitung herum, und ein Fresspäckli steht halb ausgepackt da. Einzig der Geruch nach nasser Wolle und stinkenden Socken fehlt. Eine Kaserne im Fels. Vor den Übermittlungsgeräten bleiben wieder alle stehen, ebenso vor den gezeichneten Plänen zum Bau der Festung die eifrig kommentiert werden. Der bogenförmige Bau trug dem natürlichen Verlauf der Felsen Rechnung. Ein Stollen mit steiler Treppe führt hinauf zu den Geschützen. Insgesamt ist die Anlage länger als 2km und bot 650 Mann Unterkunft. Für die Fitness der Soldaten war also gesorgt.
Das Artilleriewerk Waldbrand ist eine moderne Festung aus der Zeit des Zweiten Weltkrieges. Baubeginn war 1941. Die gesamte Anlage besteht aus dem Artilleriewerk Waldbrand und dem höher gelegenen Artilleriewerk Legi und gehörte zum Einsatzraum der 3. Division, und ab 1947 der Reduitbrigade 21. Im Juni 1942 waren die Zufahrtsstollen sowie vier der sieben Scharten für Waffensysteme soweit ausgebrochen, dass Feuerunterstützung möglich gewesen wäre. Ab da war Munition eigelagert. Im Februar 1944 erfolgte Feuerbereitschaft, die Waffen waren eingeschossen. Doch immer noch wurde gebaut. Aus vorhandenem Kartenmaterial waren die Wirkungswinkel der Geschütze ersichtlich, sowie die Gegenwerke auf der andern Seite des Thunersees. Alles zusammen deckte den Raum gegen Westen grossflächig ab. Keine Chance, da durchzukommen weiter ins Berner Oberland hinauf.
Selbst nach dem Krieg wurde 1947 weiter ausgebaut. Westeuropa befand sich im Kalten Krieg. In den 60er Jahren erhielt die Anlage den heutigen Umfang. In den 80er Jahren wurde noch eine Nachrüstung im Bereich AC-Schutzinstallationen und Ventilation ausgeführt. Mit der Umsetzung Armee 95 wurde dieses gewaltige Festungswerk desarmiert und Ende 1998 ausser Dienst gestellt. Ende Feuer.
Wirklich? Nach 1998 hat Philipp Studer die Anlage gekauft und 2007 erhielt er die Bewilligung zur Umnutzung in ein öffentlich zugängliches Museum. Sein Ziel war: Mit dieser im damaligen Reduit-Konzept wichtigen Festung soll ein Zeitzeuge erhalten und der Bevölkerung in Erinnerung gerufen werden, als lebendige Militärgeschichte. Dieses Reduit-Werk ist gut zugänglich, liegt in einer touristisch wichtigen Gegend an attraktiver Lage. Die Stollen sind in gutem Zustand, eingebettet in eine noch zu erheblichen Teilen bis heute erhaltene Bauten-Landschaft im Raum Thun-Simme-Kander-Thunersee-Interlaken. Mit viel Idealismus und passionierten Sammlern wurde die Festung mit erheblichem Arbeitsaufwand wieder eingerichtet und natürlich ausgewählte Exemplare aus der Fahrzeugsammlung hinauf gebracht und integriert. Nebst umfangreichen Restaurierungs- und Umbauarbeiten wurde ein Neubau der Leitungen nach Beatenberg Dorf ausgeführt. Der Unterhalt der Anlage ist kostspielig wegen der Luftentfeuchtung und Entwässerung. Überall tropft es wie in jeder Festung. Heute zählt Philipp Studer rund 12‘000 zufriedene Besucher pro Jahr aus dem In- und Ausland. Auch unsere Verteidigungswerke sind Kulturgut, nicht nur Burgen und Schlösser.
Man vergisst ganz die Zeit bei so einer kompetenten und spannenden Führung. Einiges wurde speziell für die OG Bern gezeigt und erwähnt. Dennoch machte sich langsam Hunger bemerkbar. Ein wohlschmeckendes Mittagessen mit Spatz und Dessert sowie genügend Tranksame für jede Vorliebe rundete den Besuch ab. Zum Kaffee gab es Hochgeistiges aus der 10-Liter-Korbflasche. Die Stimmung in bester Kameradschaft wurde immer munterer und fröhlicher. Die Frage-Antwort-Sequenzen mit den Teilnehmern waren sehr kurzweilig, anschaulich, und wie erwähnt, humorvoll. Philipp Studer hat ein unglaubliches Daten- und Zahlengedächtnis. Nun ja, um so etwas zu erschaffen muss man sich mit der Geschichte des Reduit, des Zweiten Weltkrieges, der Situation der Schweiz, eingehend auseinander setzen und das Ganze in einem grösseren Zusammenhang sehen, als nur Raum Thunersee.
Endlich standen wir zum Abschied wieder draussen auf dem Parkplatz. Der Dank ging nicht nur an Philipp Studer sondern auch an seine Helfer im rückwärtigen Dienst. Auf der Rückfahrt wurde es im Bus langsam still. Jeder hatte für sich genug zum Nachdenken über das Gehörte und Gesehene. Vergangenheit und Gegenwart. Wir müssen auch heute die Verteidigungsfähigkeit stärken und dahinter stehen. Als Offiziere, als Kader, als Fussvolk und vor allem als Stimmberechtigte, als engagierte Mitglieder der OGB.
Four aD Ursula Bonetti
