Von 42 Stühlen blieb im Saal des Äusseren Standes keiner leer, als Dr. Urban Fink im Oktober bei der OG Stadt Bern über Solothurner Sperrstellen und Bunker im Zweiten Weltkrieg und im Kalten Krieg sprach. Was als Vortrag über Militärgeschichte gedacht war, regt Angesichts der heutigen geopolitischen Lage in Europa zur Überlegung an: Warum hat man das alles liquidiert? Bräuchten wir es am Ende nicht doch noch?
Dr. Urban Fink hat in Freiburg und Rom Theologie studiert, in Freiburg ausserdem Geschichte. Die Stadt am Tiber prägte ihn, er ist auch Historiker, Buchautor und Präsident verschiedener Vereine. Zurück in der Heimat befasste er sich eingehend mit der Geschichte von Stadt und Kanton Solothurn. Sein Vortrag ist von Humor und ernsten Gedanken durchzogen und er teilt ein enormes Wissen mit den Anwesenden.
Bern und Solothurn sind beide Zähringer-Gründungen und liegen an der Aare. Bei politischen Auseinandersetzungen im Mittelalter war das schnell expandierende Bern Solothurn weit voraus. Dank der Hochgerichtsbarkeit im solothurnischen Bucheggberg konnte Bern direkt auf den Stand Solothurn Einfluss nehmen. 1653 kämpften die Städte gemeinsam gegen die Bauern, im 1. Villmergerkrieg übte Bern auf Solothurn Druck aus, aber die reformierten Stände verloren. Es gab Streitigkeiten um Herrschaftsrechte und Zölle. Solothurn befestigte 1666–1694 ihre Stadt mit massiven Schanzen gegen Bern. Vauban fand später, diese Schanzen seien unbrauchbar, ausserdem trieben sie Solothurn finanziell in den Ruin. Festungsbauten sind also eine heikle Sache.
Was den Ersten Weltkrieg betrifft, betonte der Referent, dass das Bild der «treuen Grenzwache am Jura» falsch sei, da der wichtigste Verteidigungspunkt der Brückenkopf mit der Festung Hauenstein rund um Olten war. Der geografische Raum Hauenstein ist geologisch schwierig für Bauten. Wasser versickert im Juragestein, und der Wassermangel wäre im Ernstfall zum Problem geworden. Dies wird ausser beim Militärhistoriker Hans-Rudolf Fuhrer (ⴕ) nirgends erwähnt. Der Referent zitiert Arnold Kellers operatives Dreistufenmodell: Grenzraumverteidigung – Armeelinie – Rückzugsraum. Theophil Sprecher von Bernegg hingegen wollte ein Zweistufenmodell: Grenzraumverteidigung – Armeelinie. Wichtig waren fünf operativen Schlüsselräume, doch vor 1914 waren nur die Festungswerke St.Maurice und Gotthard ausgebaut. Ein Brückenkopf Hauenstein war vor 1914 geplant, offensiv und defensiv, z.B. als Schutz und Bewachung der Bahnlinien Olten und Umgebung. General Ulrich Wille war nicht eigentlich gegen Festungen, wollte aber die Priorität auf eine gut ausgebildete und bewegliche Armee setzen. Und für Sprecher waren die Festungen für die eigene Mobilmachung wichtig. 1914 war die Mobilmachung der Truppen sehr erfolgreich, die Planung und Bewaffnung jedoch schwach. 1915 bestand die Gefahr eines französischen Angriffs, man setzte auf die Dissuasionswirkung der Schweizer Armee.
Wie eine Landkarte zeigt, wurden in den Jahren des Ersten Weltkrieges im Raum oberer und unterer Hauenstein viele Militärstrassen gebaut, z.B. die Scheltenpasstrasse. Schützengräben mussten am Waldrand ausgehoben werden, weil ein Rodungsverbot bestand. Historisch ist diese ganze Zeit noch lange nicht kritisch aufgearbeitet. Es gibt jedoch eine grosse und sehr interessante Fotosammlung über den Ersten Weltkrieg in der Schweiz, die über Wikipedia zugänglich ist. Immer wieder erwähnt Dr. Fink das Engnis Gänsbrunnen, eine kleine Ortschaft mit grosser Bedeutung. Es ist der niedrigste Übergang von Basel ins Mittelland.
Zu den Sperrstellen und Bunkern im Kanton Solothurn 1939–1945 erwähnt der Referent zuerst die Vorgeschichte. Nach Hitlers Machtergreifung 1933 wurde die Frage nach Befestigungen an der Landesgrenze gestellt. Mit der TO 1938 wurde die Grenzbrigade (Gz Br 4) geschaffen. Noch vor Kriegsausbruch begann der Bau der Artilleriefestung Full-Reuenthal, (Gz Br 5), 1939–1941 der Bau der vordersten Bunkerlinie direkt am Rhein und in der Gegend von Basel am Bergabhang. Der Bunkerausbau und die Verteidigung in die Tiefe erfolgten erst danach. Die Diskrepanz von Raum und Mitteln wurde durch die vielen Engnisse etwas gemildert. Einen Schutz wie im Aargau gab es für Basel nicht. In diesem Raum am Rheinknie entstand jedoch die grösste Bedrohung 1940/1941, westlich bis nach Kleinlützel und in der Achse von Basel an die Aare. Der Auftrag war: Halten von Grenzstellungen oder zumindest Verzögerung. Im grossen Raum der Grenzbrigade 4 fehlte es an personellen Ressourcen. Allein im Kanton Solothurn gab es 72 Sperrstellen, davon waren deren sechs national bedeutend: Gänsbrunnen, Dornach, Gempenplateau, Unterer Hauenstein, Scheltenpass, Belchen. Die Solothurn-Münster-Bahn via Gänsbrunnen wurde wohl aus militärischen Gründen gebaut (Eröffnung 1908) und im Zweiten Weltkrieg in Gänsbrunnen mit vier Bunkern gesichert. 17 Sperrstellen waren regional bedeutend, 31 waren lokal bedeutend und nur 20 sind nicht bewertet. Von den Befestigungen im Abschnitt Gz Br 4 wurde auf einige verzichtet, andere waren behelfsmässig gebaut, oder es gab Ersatzplanungen. Oftmals hatte man zu wenig Waffen, man stellte einfach hinein, was man hatte. Mit den Jahren wurde klar, dass Hitler nicht siegen und deshalb auch nicht mehr angreifen würde. Man wäre im Kanton Solothurn mit den Verteidigungsbemühungen jedenfalls zu spät dran gewesen.
Bald nach Kriegsende kam der Kalte Krieg. Man erweiterte Festungswerke, rüstete in den 1960er-Jahren auf und baute zahlreiche Sprengobjekte. Jürg Trick (ⴕ) verfasste zwei ausführliche Bände über die rund 2000 Sprengobjekte in der Schweiz in Kriegs- und Nachkriegszeiten. Urban Fink zeigt mit wenigen Worten und erstaunlichen Bildern verschiedene Sperrstellen im Kanton Solothurn. Verschiedene Kommandoposten (KP) wurden gut getarnt in die Felsen gebaut.
Nach 1989 kam der grosse Frieden, und heute denken glücklicherweise Einzelne bereits wieder an die Reaktivierung von Sprengobjekten und der Festungsminenwerfer, um die grossen Sicherheitslücken zu verkleinern.
Beunruhigt ist der Fachoffizier und Historiker Fink über die unsägliche Liquidation der Festungsminenwerfer (Fest Mw). Auch hier hat man aus seiner Sicht voreilig gehandelt, und Fachleute schliessen sich dieser Meinung an. Oberst Gerhard Wyss wies schon 2014 auf die geringen Kosten der Fest Mw hin und auf die Möglichkeit, dass der Ewige Frieden nicht anhalte. Acht Jahre später war in Europa bereits Krieg. 2023 erfolgte glücklicherweise ein Stopp des Verkaufs von Führungs- und Kampfbauten, aber das zögerliche Vorgehen und der fehlende Wille zur Finanzierung von mehr Sicherheit ist ein unsägliches Drama, meinte der Referent, und viele Anwesende nicken zustimmend.
Urban Fink sprach sich am Schluss gegen die Schaffung und Überbetonung einer teuren Staatszuständigkeit für alles und jedes (Velowege!) aus, worunter die Sicherheit leide. Neutralität ist ein Mittel, sicher kein Ziel! Heute ist neben dem Mut zu finanziellen Investitionen in die Sicherheit wieder die «geistige Landesverteidigung» nötig. Und er stellt die Frage in den Raum: Was braucht heute mehr Mut? Sich einzusetzen, oder sich nicht dafür einzusetzen? Die Diskussionen wurden in der OGB beim Apéro engagiert weitergeführt.
Four aD Ursula Bonetti
