Diese Aussage vom Präsidenten der OG Stadt Bern, Oberst i Gst Frieder Fallscheer, anlässlich der gut besuchten Mitgliederversammlung vom 21. März 2023 im Zunfthaus zum Distelzwang, zog sich wie ein roter Faden durch seinen Jahresbericht, die Grussansprachen der Gäste, Regierungsrat Philippe Müller und Oberst Dominik Knill, Präsident SOG, sowie das Referat von KKdt Michaud.

RR Philippe Müller, Sicherheits- und Militärdirektor Kanton Bern, überzeugte mit kurzen, klaren Worten. Langjährige Sicherheit im Land dürfe nicht dazu führen, sich nicht mehr auf Verteidigungsfähigkeiten vorzubereiten. Sicherheit und Freiheit sind unbezahlbar und wir müssen uns einsetzen für die Interessen der Armee. So sicher, wie wir das in den letzten Jahren gedacht haben, sei die Welt nämlich nicht. Dennoch steht die Schweiz an erster Stelle der Länder, in denen die meisten Freiheiten für alle alltäglich sind, im Gegensatz z.B. in arabischen Ländern.

Standortbestimmung

Er erwähnte im Weiteren den Einbezug der Frauen in die Armee, (Stichwort Orientierungstag) die Kosten für die Armee und Rüstungsbeschaffungen. RR Müller informierte über die U FIDES in Bern vom vergangenen Herbst. Als kantonaler Sicherheitsdirektor verfügt er über die zwei grössten kantonalen Polizeicorps in der Schweiz. Dennoch könnte im Ernstfall die Zusammenarbeit mit der Armee notwendig werden. Für die Kommunikation braucht es dieselben Geräte, das muss geschult und geübt werden. Wie sehr sich mangelnde Kommunikation über Sieg oder grosse Verluste entscheidend auswirken kann, zeige sich im Ukraine-Krieg auf erschreckende Weise. Ein kurzer Film dokumentiert die eindrückliche U FIDES, mitten in der Stadt Bern.

Sieg-Frieden um jeden Preis?

Oberst Dominik Knill, Präsident SOG, nahm den roten Faden auf. Das vergangene Jahr zeigte, wie oft Experten danebenlagen. Solange beide Kriegsparteien an einen Frieden nur durch einen Sieg über das andere Land glauben, kommt es zu keinen Verhandlungen, die den Krieg beenden könnten. Eine Umfrage zeigt, dass die Bereitschaft sein Land zu verteidigen zunimmt, je mehr man gen Osten blickt, und westliche Länder sind dazu weniger bereit. Finnland zeigt die höchste Bereitschaft mit 76%, während es in der Schweiz trotz derzeit grösserer Zustimmung zur Armee, nur 40% sind, die eine Landesverteidigung befürworten. Bedenklich ist das Resultat einer Umfrage in der Schweiz: Unter den zehn «grössten Sorgen» der Bevölkerung ist Sicherheit nicht mehr dabei.
Wir sollten zur Verteidigung bereit sein, jedoch bringe Hektik keinen Erfolg. Es brauche jetzt Besonnenheit für Entscheidungen, er spricht damit die aktuellste Frage an, ob Panzer verkauft werden sollen/dürfen. „Jetzt haben unsere eigenen Bedürfnisse Priorität.“ Das Kriegsmaterialgesetz wird überdacht. Gerade in einem Wahljahr sollen Kandidaten unterstützt werden, die sich für die Landesverteidigung einsetzen werden. Stehen wir zu unseren Werten!

Liberté et Patrie

Nach dem zügig abgehandelten statutarischen Teil der Mitgliederversammlung mit dem Jahresbericht des Präsidenten, trat KKdt Michaud, Chef Kommando Operationen, ans Rednerpult. Mit Humor nahm er Bezug auf die Geschichte der Waadt, die länger als 200 Jahre lang (1536–1798) eine bernische Vogtei war. Deshalb habe er Div Claude Meier, ebenfalls ein Vaudois, mitgenommen und sie nehmen jetzt im Gegenzug die Stadt Bern ein. Das Eis ist gebrochen, volle Aufmerksamkeit ist gesichert. Danach nimmt auch er ernsthaft den roten Faden auf:

Er stellt die Entwicklung des Krieges in der Ukraine seit dem 24. Februar 2022 in allen Operationssphären, die verschiedenen Manöver und Gegenoffensiven sowie die Kommandoordnung der russischen Armee und ihre Auswirkungen auf die Kriegsführung dar.

Der Referent zeigt auf einer Folie die Kommandoordnung der russischen Streitkräfte in den vier Phasen des Krieges ab Februar 2022. Der Generalstab übernimmt in 2023 die operative Führung, alle Mittel in der Hand eines militärischen Chefs.
Er zeigt die russische Absicht für die nächsten Monate. Er betont, dass die russischen Streitkräfte aufgrund von Materialmangel und Verlusten derzeit nicht in der Lage sind, grosse Offensiven durchzuführen. Daher ist trotz der geringen Ausbildung der mobilisierten Soldaten mit neuen Mobilisierungswellen zu rechnen. Es ist auch damit zu rechnen, dass das russische operative Feuer auf kritische Infrastrukturen in die Tiefe fortgesetzt wird, da die russische Armee auf operativer Stufe immer noch im klaren Vorteil ist. Russland wird anderweitig reagieren via Getreideexportsperren oder den Balkan provozieren. Ein Sieg bleibt unwahrscheinlich. Russland profitiert davon, Tatsachen zu schaffen. Die Ukraine hat bereits in 2015 mit moderner Ausbildung in der Armee begonnen, ein Schlüsselfaktor für die Durchhaltefähigkeit. Trotz der westlichen Hilfe, die sich mittlerweile auf über 150 Milliarden US-Dollar beläuft, es ist aber unwahrscheinlich, dass die Ukraine in der Lage sein wird, alle besetzten Gebiete zurückzuerobern, da die russische Front aufgrund der Mobilisierung verstärkt werden konnte.

Ein Konflikt mit eingefrorener Front könnte zu Verhandlungen führen. Die Frage der Krim ist damit noch nicht gelöst, hier spielen auch Sprache und Religion eine Rolle.
Die weltweit 54 Konflikte zeigen die Krisenherde auf, Hungersnot, globale Erwärmung, die Sicherheit ist gefährdet. Die Weltwirtschaft hat sich noch nicht von der Covid-Pandemie erholt. Das alles wirkt sich auf die Migrationsströme aus. Wie bereits erwähnt worden ist: die Welt ist instabil. Hochwasser, Flüchtlingsströme, Terror, Strommangellage kann als Einzelereignis bewältigt werden. Kommt alles zusammen, könnte als Folge eine Krise kommen. Bestimmte Bedrohungen und Gefahren werden in der Vorausplanungen der Armee mit einbezogen.

KKdt Michaud wendet sich nun den eigenen Streitkräften zu. Was macht die Armee um die Verteidigungsfähigkeit wieder zu erstellen? Welche Schlüsse hat man aus den Ereignissen des Ukraine-Krieges im letzten Jahr gezogen? Die Dezentralisierung und Autonomie der Logistik ist ein Thema. Die Fähigkeitslücken aller Operationssphären müssen geschlossen werden. Wir müssen vor allem die Fähigkeit haben, durch indirektes Feuer über lange Reichweite Auswirkungen auf den Gegner zu erzielen. Dies setzt gezielte Investitionen voraus, nicht nur in Artillerie, sondern auch in Drohnen oder spezielle Munition. Die Cyber- und elektronische Fähigkeiten sollen auch verbessert werden. Die Erkenntnisse sollen in Übungen grosser Verbände einfliessen.

Die Armee sichtbar machen

Wir müssen die technisch hoch ausgerüsteten aber geschützten Waffenplätze verlassen und dort üben wo im Verteidigungsfall gekämpft werden müsste, nämlich mitten in den Städten wo das Gelände der Realität entspricht. Man wird so nahe als möglich an der Realität üben. Bereits haben grosse Übungen zur Unterstützung ziviler Behörden und Verteidigung stattgefunden wie ODESCALCHI, STABANTE oder im Herbst 2022 PILUM. Sie dienen dazu, Vorausplanungen und Konzepte zu validieren.
Dabei wird natürlich die zivile Bevölkerung gestört, doch das ist notwendig. Allerdings, fügt er an, hat die Bevölkerung das noch nicht realisiert, warum solche Volltruppenübungen notwendig sind. Sie beschweren sich an höchster Stelle über den Lärm. Der Referent betont, dass die Armee wieder sichtbar werden muss.

Schliesslich gibt KKdt Michaud einen Rückblick auf die Operationen, Einsätze und Übungen des Jahres 2022 und die daraus gewonnenen Lehren. Die Erhöhung der Einsatzwahrscheinlichkeit für die Katastrophenhilfe, die Wichtigkeit von Reserveinfrastrukturen, die Bedeutung des Subsidiaritätsprinzips, der Nutzen der territorialen Verankerung und der Mobilisierung sind alles Elemente, die in der Zukunft unserer Armee berücksichtigt werden müssen.

Er schliesst sein hochinteressantes Referat mit dem gleichen Wort wie Oberst Knill: „Um sich seines Verstandes zu bedienen, braucht man Sicherheit und Ruhe.“
Die vier Reden greifen wie ein geniales Räderwerk ineinander und brachten den Titel perfekt zum Ausdruck: Wir wurden wachgerüttelt!

Four aD Ursula Bonetti